FEATURE | 9 Jun 2022
Streitkultur 3.0 gewinnt Bildungspreis
Interview mit Preisträgerinnen Nicole Rieber und Carolin Sokele
Unser Projekt für digitale Streitkultur 3.0 gewinnt den Bernhard-Vogel-Preis-Bildungspreis der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Mit unserem Projekt „Streitkultur3.0 – Lernräume und -medien für junge Menschen zur Auseinandersetzung mit Hass und Gewalt im Netz“ unterstützen Nicole Rieber, Carolin Sokele und ihr Team Jugendliche, sich kritisch mit Informationen im Internet auseinanderzusetzen. Am 30.5. wurde ihnen dafür der Bernhard-Vogel-Bildungspreis zum Thema „Chancen schaffen – Chancen nutzen“, verliehen, der beispielhafte Bildungsinitiativen auszeichnet. Nicole Rieber reiste nach Wien, um den mit 6000 Euro dotierten Preis entgegen zu nehmen. Die Laudatio hielt der ehemalige Bundespräsident Norbert Lammert.
Das Projekt ist in Zeiten von Desinformationen und Hasskampagnen im Internet so relevant wie noch nie. Wir gratulieren dem Team ganz herzlich und wollen von Nicole und Carolin wissen, was der Preis für sie bedeutet und wie es mit ihrem Projekt weitergeht.
Eine kritische Medienkompetenz war und ist für mündige Bürger*innen einer demokratischen Gesellschaft schon immer von besonderer Bedeutung.
Carolin Sokele, Berghof Foundation
Vergangene Woche habt Ihr den Bernhard-Vogel-Bildungspreis für euer Projekt Streitkultur 3.0 bekommen. Was bedeutet die Auszeichnung für eure Arbeit?
Nicole: Die Verleihung des Bernhard Vogel Bildungspreises bedeutet für uns eine ganz besondere Wertschätzung und Anerkennung. Es ist zudem ein Signal, dass die Arbeit von und mit Jugendlichen an Themen wie Desinformation, Hate Speech und die Stärkung einer digitalen Zivilgesellschaft als besonders wichtig empfunden wird. Es bestärkt uns also auch, diese Ansätze zu vertiefen und in weiteren Projekten und Formaten voranzubringen.
Während der Pandemie und auch jetzt während des Ukraine-Krieges werden online falsche Informationen geteilt und es wird gezielt polarisiert. Für junge Menschen ist es oft nicht leicht zu wissen, was sie glauben können. Ist Medienkompetenz wichtiger denn je? Und wie genau versucht ihr diese mit eurem Projekt zu vermitteln?
Caro: Eine kritische Medienkompetenz war und ist für mündige Bürger*innen einer demokratischen Gesellschaft schon immer von besonderer Bedeutung. Die aktuellen Gegebenheiten machen dies natürlich nochmal sehr deutlich.
Da wir durch die Digitalisierung mit einer Flut an Informationen über verschiedenste Formate konfrontiert werden, ist es nicht immer einfach, die Glaubwürdigkeit von Nachrichten zu prüfen. In unseren Projekten versuchen wir jedoch genau da anzusetzen und gemeinsam mit Jugendlichen zu reflektieren, warum eine kritische Medienkompetenz für ein demokratisches und friedliches Zusammenleben essentiell ist.
Durch interaktive Lernmodule oder gezielte Austauschformate vermitteln wir Tipps zur Quellenprüfungen, reflektieren gemeinsam das eigene Verhalten online oder werfen einen Blick darauf, welche (auch gewaltvollen) Konsequenzen Desinformationen auf Gesellschaften haben können
Hilft der digitale Raum Demokratie und Frieden oder ist er eher schädlich?
Caro: Das ist pauschal kaum zu beantworten. Auf der einen Seite bieten digitale Räume neue Möglichkeiten und Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung, sie ermöglichen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ein Art von Kommunikation und Austausch, welche früher undenkbar schien. Etwa für Protestbewegungen ist die Organisation von Aktionen über soziale Netzwerke eine bedeutende Ressource.
Auf der anderen Seite sehen wir natürlich, wie einfach es ist, im digitalen Raum Meinungen zu zensieren oder diesen als Kommunikationskanal gar abzuschalten. Zudem werden digitale Räume zur Verbreitung von Hass, Desinformationen und Propaganda benutzt, die Gewalt verstärken und zur Eskalation von Konflikten beitragen können.
Genau aus diesem Grund möchten wir gezielt an der Stärkung einer digitalen Zivilgesellschaft arbeiten und uns für ein friedliches Zusammenleben im Netz einsetzen.
Wer ist eigentlich kritischer im Umgang mit Medien und Informationen, Jugendliche oder Erwachsene?
Nicole: Das ist schwierig. Einerseits haben Erwachsene den Vorteil, dass sie noch in einer Welt aufgewachsen sind in der es die sogenannte Gatekeeper Funktion von Journalist*innen gab. Es war also sehr eingeschränkt, wer Sender*in und Empfänger*in von Nachrichten ist. Dies haben viele Jugendliche nicht mehr erlebt, als „Digital Natives“ kennen sie nur eine Welt, in der jede*r Inhalte veröffentlichen und verbreiten kann. Ein Drittel (34%) der jungen Menschen traut sich laut einer Studie der Vodafone Stiftung Deutschland (2020, 5) nicht zu, die Glaubwürdigkeit von Nachrichten gut einzuschätzen. Das heißt allerdings nicht, dass nur Jugendliche Fehlinformationen teilen. Im Gegenteil. Oft fehlt aber auch die Orientierung oder das „positive“ erwachsene Vorbild, weil auch Erwachsene nicht immer wissen, was wahr und was falsch ist.
Ihr versucht Jugendliche nicht nur für die Themen Hass und Gewalt im Netz zu sensibilisieren. Eure Arbeit geht weiter und versucht Jugendlichen zu vermitteln, das Internet als positiven Gestaltungsraum zu sehen. Wie genau geht ihr da vor?
Nicole: Wir sind immer wieder positiv davon überrascht, wie kreativ und gut Jugendliche im Formulieren von Gegenrede auf beispielhafte Hasskommentare sind oder was für tolle Ideen sie für ein friedlicheres Netz entwickeln. Es ist sehr ermutigend, dass der Großteil der Jugendlichen, denen wir begegnet sind, demokratische Werte auch in Bezug auf Inhalte im Netz als wichtig empfunden haben.
Caro: Wir diskutieren mit Jugendlichen wie sie sich im Netz engagieren können und welche Formen von Beteiligung im Netz möglich sind. Wir regen sie dazu an, über ihr eigenes Verhalten nachzudenken, aber auch kreativ zu werden und sich eigene Aktionen zu überlegen, wie sie im Netz aktiv werden könnten.
Was steht als Nächstes bei Euch an?
Nicole: Aktuell arbeiten wir an unserem Folgeprojekt #vrschwrng – Ein interaktives Toolkit gegen Verschwörungstheorien, das an die Inhalte von Streitkultur 3.0 anknüpft. In diesem Kontext führen wir an schulischen und außerschulischen Institutionen Workshops mit jungen Menschen durch.
In dem Rahmen versuchen wir uns weiter mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu vernetzen und unsere Lernformate auch über Deutschland hinaus zu etablieren oder sie auch anderen Zielgruppen zur Verfügung zu stellen.
Wir bleiben also weiterhin am Thema dran.
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