THE BERLIN MOOT – A conference pioneering new approaches to peace: 17-18 April in Berlin

THE BERLIN MOOT: A peace conference on 17-18 April

BLOG POST | 21 Dec 2020

Die aktuellen Entwicklungen der Intra-Afghanischen Friedensverhandlungen: Ein Kommentar

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Hans-Joachim Giessmann diskutiert die Fortschritte im afghanischen Friedensprozess und warum nur mit Geduld und Vertrauen nachhaltiger Frieden erzielt werden kann.

By Hans-Joachim Giessmann

 

Der Friedensprozess in Afghanistan ist eine Achterbahnfahrt der Hoffnungen und Rückschläge. Während die Menschen weiterhin unter Gewalt leiden, ist jeder Verhandlungsfortschritt – auch wenn er viel Zeit beansprucht – ein Meilenstein. Hans-Joachim Giessmann, Director Emeritus der Berghof Foundation, bespricht, was die derzeitigen Entwicklungen für den Prozess bedeuten und warum Frieden nur mit Geduld und Vertrauen nachhaltig wird.

Wer nicht um die Schwierigkeit weiß, was es bedeutet, einen jahrzehntelang erbittert geführten Krieg zu beenden, kann kaum ermessen, warum die Delegationen bei den afghanischen Friedensverhandlungen drei ganze Monate benötigten, um sich darüber zu einigen, wie und worüber eigentlich verhandelt werden soll. Angesichts der anhaltenden Gewalt in fast allen Teilen Afghanistans ist die Vereinbarung von Regeln für die Verhandlungen sowie der Austausch über Themen zwischen den Delegationen jedoch als Erfolg zu werten. Nach Beendigung dieser ersten Verhandlungsphase am 14. Dezember sollen nun ab Januar 2021 der Fahrplan für die Verhandlung der vereinbarten Themen abgestimmt und erste Gespräche zu Sachfragen geführt werden.

Der Weg zum Beginn der Verhandlungen war steinig. Der langanhaltende Krieg hat nicht nur das Vertrauen der Parteien untereinander massiv untergraben, sondern in weiten Teilen der afghanischen Bevölkerung auch die Hoffnungen getrübt, Krieg und Gewalt jemals durch einen friedlichen Ausgleich von Interessen innerhalb der Gesellschaft überwinden zu können. Eingeleitet wurde der Verhandlungsprozess schließlich durch eine Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban im Februar 2020. An dessen Zustandekommen war die Regierung Afghanistans nicht beteiligt, ihre Umsetzung – insbesondere die Freilassung von 5.000 inhaftierten Taliban-Kämpfern – wäre ohne ihr Mitwirken jedoch nicht möglich gewesen. Die Regierung und politischen Kräfte Afghanistans erklärten sich schließlich bereit, eine gemeinsame Delegation für direkte Gespräche mit den Taliban nach Doha zu entsenden.

Die Erwartungen an die Verhandlungen waren im Vorfeld hoch, nicht nur in Afghanistan, sondern weltweit, aber zugleich von Zweifeln begleitet. Zum Auftakt der Gespräche in Doha gab es eine historische Zäsur: Die Erklärung guter Absichten der beiden Delegationen, und die geschlossene Unterstützung der gesamten internationalen Gemeinschaft für diese Intra-Afghanischen Verhandlungen war neu in der jahrzehntelangen Konfliktgeschichte des Landes.

Die anfängliche Euphorie wich jedoch bald der Ernüchterung, denn die beiden Delegationen verhakten sich frühzeitig in der Frage der Verfahrensregeln ihres Umgangs miteinander sowie über die Grundlagen der Verhandlungen. Jede Seite bezog Positionen, die durch die jeweils andere nicht anerkannt wurden. Zeitgleich gab es keinerlei erkennbare Fortschritte bei der erhofften Reduzierung der Gewalt. Afghanistan wurde durch eine Serie von Anschlägen erschüttert, erstmals seit Monaten wurde dabei auch das Leben und die Menschen in Kabul wieder zur Zielscheibe. Wochenlanger Stillstand und sich ausbreitende Frustration bei allen Beteiligten, auch auf Seiten um Vermittlung bemühter internationaler Partner, ließen die Erwartungen an einen zügigen Friedensprozess sinken. Dass letztlich ein erstes Ergebnisse erzielt werden konnte, ist der zahlreichen internationalen Unterstützung zu verdanken sowie der beiderseitigen Erkenntnis der verhandelnden Parteien, dass ein Scheitern der Gespräche vor ihrem eigentlichen Beginn den Friedensprozess auf Dauer zerstören und dadurch ausufernder Gewalt Tür und Tor öffnen würde.

Hinzu kam zunehmender Zeitdruck, angesichts der überraschenden Ankündigung Donald Trumps auf Twitter, dass die USA ihre Streitkräfte bereits bis Weihnachten 2020 um mehr als die Hälfte reduzieren wollten, wodurch auch ein vorzeitiges, vielleicht sogar überstürztes Auslaufen der gesamten internationalen Friedensmission Resolute Support in den Bereich des Möglichen rückte. Die Ankündigung der USA hatte auch deshalb verheerende Auswirkungen auf die Verhandlungsposition der Regierungsseite, da die Verminderung der Gewalt seitens der Taliban im US-Taliban Abkommen ausdrücklich an den Abzug der ausländischen Truppen geknüpft worden war. Davon aber ist das Land aktuell weiter entfernt als im Frühjahr 2020.

Sind die genannten Schwierigkeiten zu Beginn der Verhandlungen wirklich so überraschend? Die hier genannten Umstände trugen gewiss dazu bei, den Auftakt des Friedensprozesses holperiger werden zu lassen; sie sind aber als Erklärung nicht ausreichend und schon gar nicht entscheidend.

Erforderlich ist gegenwärtig am meisten das, was von allen afghanischen Konfliktparteien untereinander am wenigsten zugestanden wird: Geduld und Vertrauen.

Schaut man auf die jahrzehntelange Vorgeschichte der Konflikte, auf das zerstörte Vertrauen der Konfliktparteien und auf das tausendfach von afghanischen Familien erlittene Leid, kann eine dauerhafte Befriedung des Landes – selbst bei rascheren Ergebnissen der Verhandlungen – auf absehbare Zeit nicht wirklich zu erwarten sein. Selbst die Vereinbarungen eines in Afghanistan sehnsüchtig erhofften Waffenstillstandes würde weder die Ursachen des Konflikts noch den verbreiteten Zorn über das vielfach zugefügte Leid tilgen.

Erforderlich ist gegenwärtig am meisten das, was von allen afghanischen Konfliktparteien untereinander am wenigsten zugestanden wird: Geduld und Vertrauen. Es geht um das Vertrauen in einen Prozess, an dessen Ende die Bereitschaft, friedlich miteinander auszukommen, auf allen Seiten und in ganz Afghanistan höher geschätzt wird, als das Streben nach Dominanz einer Partei über alle anderen.

Trotz dieser nüchternen Einschätzung der aktuellen Lage, sind Hoffnungen auf Frieden dennoch weiterhin berechtigt. Notwendig hierzu ist Realismus in der Beurteilung des Erreichbaren und der damit verbundenen Herausforderungen. Der Verhandlungsauftakt in Doha hat gezeigt, dass es den Parteien möglich ist, ein konstruktives Verhandlungsklima zu schaffen – aber auch, dass es ein langer Weg zum Frieden ist.

Gelingen tragfähige Kompromisse, so könnte dies einen überprüfbaren Rahmen für den Friedensprozess hervorbringen. Um erfolgreich zu sein, wird der Prozess jedoch mehr als nur die Bereitschaft der Verhandelnden zu Kompromissen in strittigen Fragen abverlangen. Um nachhaltigen Frieden zu erzielen braucht es den festen Willen aller Afghan*innen, ihre Zukunft friedlich und allein durch Zusammenarbeit zu gestalten.

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