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BLOG POST | 26 Jul 2023

Konflikte lokal transformieren

Wie wir auf unterschiedlichen Ebenen Dialog schaffen

A car full of medicine arrives at the health center in Al-Absiyya, Yemen. | A car full of medicine arrives at the health center in Al-Absiyya, Yemen. | Photo © PDF Yemen

Durch Dialog auf verschiedenen Ebenen können Konflikte transformiert werden. Ein Beispiel aus Jemen.

By Florian Lüdtke

 

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat vielen Europäer*innen gezeigt, was für Millionen Menschen weltweit bereits grausame Realität ist: Gewalt und Krieg bringen Tod und unvorstellbares Leid. In Zeiten scheinbaren Friedens verdrängen wir das, wenn es nicht in unserer Nähe passiert. Diesen Luxus können sich Millionen Menschen nicht leisten.

In Äthiopien herrschte bis vor Kurzem für zwei Jahre einer der brutalsten und tödlichsten Kriege, der Tausende Menschen das Leben kostete und Millionen vertrieb. Auch in Jemen befördert der gewalttätige Konflikt eine humanitäre Krise, die in unseren Medien viel zu wenig Aufmerksamkeit findet. Der Sudan, wo seit April Hunderte Zivilisten den Kämpfen zum Opfer fallen, findet zwar aktuell in unsere Schlagzeilen – wir müssen jedoch aktiv daran arbeiten, dass auch dieser Konflikt nicht aus unserem Blickwinkel verschwindet.

Dieser Artikel (lesen Sie ihn hier online) erschien zuerst als Gastbeitrag in diesseits im Juni 2023, einem halbjährlich erscheinenden Magazin zu humanistischen Themen.

Mehr als nur „keine Gewalt“

Krieg bringt nicht nur offensichtliches Leid, Krieg stellt immer wieder in Frage, wie wir als Menschen zusammenleben möchten. Und genauso ist Frieden nicht lediglich das Wegbleiben von Gewalt, sondern die große Herausforderung, gemeinsam zu definieren, wie wir als Gesellschaft funktionieren. Ein umfassender Ansatz für die Frage „Wie funktioniert Frieden?“ beinhaltet neben der offensichtlichen Ablehnung von Diskriminierung und Gewalt auch einen positiven Friedensbegriff, also die Stärkung der sozialen Gerechtigkeit und die Schaffung einer Kultur des Friedens innerhalb und zwischen den Gesellschaften.

Frieden steht also im engen Verhältnis zu den Menschenrechten und den Grundbedürfnissen der Bevölkerung. In humanitären Krisen, wie beispielsweise im Libanon, ist der Versuch, Dialoge zwischen verschiedenen Glaubensgemeinschaften herzustellen, getrieben von dem Wunsch, eine Grundlage für inklusive und demokratische Strukturen aufzubauen. So erhofft man sich, auch die wirtschaftlichen und humanitären Krisen im Land auf lange Sicht zu beenden.

Eine Grundvoraussetzung für Friedensarbeit ist, dass sie von den Menschen vor Ort gewollt und angetrieben wird. Es gilt das Motto: Frieden nicht nur für den Friedenswillen, sondern für die Menschen, die ihn wollen.

Konflikte lokal transformieren

Jeder Konflikt ist einzigartig, und doch sollte sich die Konflikttransformation auf grundlegende Prinzipien stützen: Konflikte sind nicht grundsätzlich schlecht, sondern Teil menschlicher Auseinandersetzung und Antrieb für Veränderung und Fortschritt. Selbst inmitten von Zerstörung können soziale und politische Konflikte Kräfte des positiven Wandels entwickeln. Konfliktparteien müssen dafür lernen, wie man ohne Gewalt und konstruktiv miteinander umgeht, und sie müssen gemeinsam nach Wegen suchen, um die Missstände und Probleme anzugehen, die sie voneinander distanzieren. Friedensförderung hat dementsprechend nicht das Ziel, Konflikte abzuschaffen, sondern Impulse zu geben, wie gewalttätige Konflikte in nachhaltige Lösungen umgewandelt werden können. Deswegen spricht die Berghof Foundation nicht nur von „Frieden schaffen“, sondern von „Konflikte transformieren“.

Nur ein Ansatz, der von lokalen Communitys über Policymaker bis zu nationalen und internationalen Entscheidungsträger*innen reicht, verspricht langfristigen Erfolg.

Oft haben wir das Bild vom Verhandlungstisch im Kopf, wenn wir an Frieden denken. Das entspricht nur teilweise der Realität. Es reicht eben nicht, allein mit politischen Entscheidungsträger*innen – beispielsweise auf nationaler Ebene – zu sprechen. Nur ein Ansatz, der von lokalen Communitys über Policymaker bis zu nationalen und internationalen Entscheidungsträger*innen reicht, verspricht langfristigen Erfolg.

Das wird am Beispiel von Jemen klar. Dort arbeitet die Berghof Foundation nicht nur mit Konfliktparteien und Entscheidungsträger*innen, sondern auch auf der lokalen Ebene, um Menschen ganz konkret zu helfen, aber auch um nationale Bemühungen zu unterstützen. Beispielsweise wirkte Berghof in Al-Absiyya, einem kleinen Dorf im gebirgigen zentralen Hochland Jemens. Dort wurde 2014 durch einen Konflikt ein nagelneues örtliches Gesundheitszentrum geschlossen. Lokale Friedensarbeit konnte konstruktive Gespräche zwischen den verfeindeten Gruppen initiieren und damit zu einer erneuten Öffnung des Krankenhauses führen. Wie genau läuft so ein Prozess ab?

Mediation in Jemen

Jemen befindet sich inmitten eines bereits acht Jahre anhaltenden Bürgerkriegs und ist Ort der schwersten humanitäre Krise der Welt. Angesichts der Hungersnot, die Hunderttausende von Menschenleben bedroht, sind 21,6 Millionen Jemenit*innen – davon 11 Millionen Kinder – auf humanitäre Hilfe angewiesen. Inmitten des Konflikts zwischen Huthi-Rebell*innen und der international anerkannten Regierung, weiter verkompliziert durch regionale Akteur*innen wie Iran oder Saudi-Arabien, sind für die Jemenit*innen die Bewältigung lokaler Probleme oft wichtiger als die nationale Politik. Denn diese haben massive Auswirkungen auf ihr alltägliches Leben, Gesundheit und Sicherheit.

2014 wurde das Gesundheitszentrum von Al-Absiyya geschlossen, nachdem ein Streit zwischen zwei Apothekenbesitzern eskaliert war. Um die festgefahrene Situation zu lösen, schaltete sich der Beratende Ausschuss ein. Dieses Gremium wurde vom Political Development Forum, einer engen jemenitischen Partnerorganisation der Berghof Foundation, gegründet. Es besteht aus Politiker*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, verschafft lokalen Anliegen auf Gouverneursebene Gehör und schlichtet lokale Konflikte. In diesem konkreten Fall wurde eine Gruppe gebildet, die in dem Konflikt vermitteln sollte.

Die Gruppe leitete einen Mediationsprozess ein, zu dem die beiden Konfliktparteien, die Dorfbevölkerung und die Leitung des Gesundheitszentrums, eingeladen wurden. So konnte eine Lösung für den Konflikt zwischen den beiden Apothekenbesitzern gefunden werden: Das Gesundheitsamt des Distrikts wechselte das Verwaltungspersonal des Gesundheitszentrums aus, das durch den Manager direkt in den Konflikt involviert war, und eröffnete eine öffentliche Apotheke, um den ursprünglichen Streitpunkt zu lösen.

Friedensprozesse müssen auf mehreren Ebenen parallel stattfinden. Das komplementiert Verhandlungen auf der nationalen Ebene und schafft wichtige Vorbilder für Andere.

Eine Erfolgsgeschichte: Im Oktober 2018 konnte das Gesundheitszentrum endlich wieder öffnen und die 6.000 in der Region lebenden Menschen versorgen. Bereits in den ersten drei Monaten nach der Eröffnung wurden über 1.200 Patient*innen behandelt.

Vorbilder schaffen und Krisen frühzeitig angehen

Dieses positive Beispiel löste in der Region ein großes Echo aus. Der Beratende Ausschuss erhielt zahlreiche Anfragen aus benachbarten Bezirken, um Konflikte zu lösen. Mit Unterstützung des Ausschusses wurden mehrere andere lokale Gesundheitszentren wiedereröffnet. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass in Friedensprozessen Bemühungen auf mehreren Ebenen parallel stattfinden. Das kann Leben retten und schafft wichtige Vorbilder für Andere. Und die Arbeit komplementieren Verhandlungen auf nationaler Ebene, die oft langwierig sind und fernab der Bevölkerung ablaufen. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung, denn nationale Abkommen sind auf lokale Unterstützung angewiesen und können leicht durch lokale Konflikte unterminiert werden.

Die Dringlichkeit der Friedensarbeit ist bedauerlicherweise gestiegen. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen des Klimawandels lokale Communitys wie in Al-Absiyya vor große Herausforderungen stellen wird. Der Klimawandel wird bestehende Konflikte intensivieren oder sogar neue schaffen – insbesondere dort, wo Ressourcen wie Wasser und Ackerland knapp werden. Gemeinsame Bedenken über die Auswirkungen des Klimawandels können jedoch auch ein Ansatzpunkt sein, um Konfliktparteien in einen Dialog zu bringen. Friedensmacher*innen müssen bereits jetzt die sogenannte Klimasicherheit und gesellschaftliche Anpassung an den Klimawandel im Blick behalten. Natürlich braucht es dafür wissenschaftliche Expertise. Friedensarbeit geht daher Hand in Hand mit der Forschung sowie mit der Pädagogik – damit die nächsten Generationen so früh wie möglich die Grundwerte der Friedensarbeit verstehen und anwenden können.

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Florian Lüdtke
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