FEATURE | 8 Oct 2020
„Frieden muss für alle, überall und jederzeit möglich sein“
Ein Gespräch mit Mathias Terheggen, Unternehmer, Philanthropie Experte und Mitglied des Stiftungsrats der Berghof Foundation
Mathias Terheggen, das neuste Mitglied unseres Stiftungsrats, erzhählt, warum er für gesellschaftlichen Wandel und Frieden arbeitet.
Könnten Sie uns ein wenig über Ihre Karriere und Ihren Hintergrund erzählen?
Ich bin ausgebildeter Physiker mit einem Doktortitel in Photovoltaik. Ich arbeite nicht mehr als Wissenschaftler aber ich bin überzeugt, dass die Konzentration auf die Lösung struktureller Probleme, die den Kern des Physikstudiums ausmacht, ein Leben lang wertvoll ist.
Allerdings musste ich auch erkennen, dass Wissen allein keine Veränderungen schafft. Und ich wollte etwas über Naturwissenschaft lernen, um zu positiven gesellschaftlichen Veränderungen bei zu tragen. Auf der Suche nach Orten, an denen Veränderungen stattfinden, wagte ich mich also in die Wirtschaft. Bei McKinsey & Co. erhielt ich eine Einführung in die Unternehmenswelt, zuzusagen im Schnellwaschgang. Und ich durfte mich auf Kunden aus dem sozialen Sektor konzentrieren.
Während meiner Doktorarbeit gründete ich mit Einnahmen aus einer Online-Stellenplattform, die ich während des .com-Booms eher unerwartet gegründet hatte, eine kleine Stiftung. Dies weckte mein Interesse an gemeinnützigen Organisationen als treibende Kraft für gesellschaftlichen Wandel und bei McKinsey hatte ich die Chance, sie zu meinem beruflichen Schwerpunkt zu machen, indem ich mit Regierungen, großen Stiftungen und Hilfsorganisationen auf der ganzen Welt zusammenarbeitete. Eine ebenso bereichernde wie aufregende Erfahrung, für die ich bis heute sehr dankbar bin und die meinen beruflichen Werdegang grundlegend geprägt hat.
Im Anschluss wurde ich Global Head of Philanthropy Services bei der UBS AG und arbeitete mit Privatkunden und Familien sowie deren Family Offices an individuellen Spendenstrategien. Danach habe ich zusammen mit einer kleinen Gruppe führender Philanthrop*innen in Singapur eine Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit von privaten Spender*innen in Asien ins Leben gerufen, ein höchst spannendes Unterfangen. Und seit 2018 arbeite ich als unabhängiger Berater und Partner bei Impact Relation GmbH, wo ich mich auf Strategien und Geschäftsmodelle für sozialen Wandel konzentriere. Außerdem bin ich Partner und Co-CEO in einem der ältesten und erfolgreichsten sozialen Unternehmen Europas, der Dialoghaus gGmbH und der Dialogue Social Enterprises GmbH in Hamburg. Und ich bin Vorsitzende des Vorstands der Cherie Blair Foundation for Women in London.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass über 20 Jahre Arbeit an sozialen und ökologischen Themen in mir die Überzeugung gefestigt haben, dass Marktmechanismen und ein unternehmerischer Ansatz am vielversprechendsten sind, um in großem Maßstab Wirkung zu erzielen - wenn sie von den richtigen Werten geleitet werden. Und dass Gleichheit, Vielfalt und Inklusion das Fundament jeder wohlhabenden, gerechten und glücklichen Gesellschaft sind.
Zusammen mit meiner Partnerin und unseren beiden Töchtern lebe ich glücklich in Zürich, liebe die Berge, bin, wann immer ich Zeit habe, auf dem Fahrrad zu finden und würde mich als eher sozialen Menschen bezeichnen.
Warum haben Sie sich entschieden, der Berghof Foundation beizutreten?
Johannes Zundel, Vorsitzender des Stiftungsrats, hat mich gefragt, ob ich beitreten würde. Aber das ist natürlich nicht die vollständige Antwort. Die Arbeit der Berghof Foundation war mir seit vielen Jahren bekannt. Sowohl wegen ihrer Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Konflikttransformation und Friedensförderung als auch wegen des großen internationalen Ansehens, das ihre Arbeit erworben hat. Ich habe immer bewundert, dass die Berghof Foundation in einem Bereich tätig ist, den jede Philanthrop*in für lebenswichtig hält, in den sich aber nur wenige hinein trauen. Die Abwesenheit von gewaltsamen Konflikten ist eine wichtige Voraussetzung für alle anderen Bemühungen um menschliche Entwicklung. Eine Tatsache, die ich bei meiner Arbeit nach dem Tsunami in Banda Aceh, Indonesien, aus erster Hand beobachten konnte. Gibt es also ein größeres Privileg, als eine der führenden Organisationen in diesem Feld zu unterstützen?
Die Abwesenheit von gewaltsamen Konflikten ist eine wichtige Voraussetzung für alle anderen Bemühungen um menschliche Entwicklung.
Wie wollen Sie Ihre Expertise einsetzen, um die Arbeit der Berghof Foundation zu unterstützen?
Während meiner gesamten beruflichen Laufbahn habe ich in verschiedenen Ländern und Kulturen, aber auch für unterschiedliche Anliegen, in unterschiedlicher Größe oder mit unterschiedlichen Ansätzen, Erfahrungen in der Stiftungsarbeit und im Stiftungsmanagement gesammelt. Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich sehr gerne in meine Rolle als Mitglied des Stiftungsrats einbringe, in der Hoffnung, die Diskussion bereichern und den Raum für friedliche Lösungen erweitern zu können. Darüber hinaus hoffe ich, dass meine Erfahrungen im Fundraising, insbesondere mit privaten Spendern, und meine Arbeit an Finanzierungsstrategien für die Berghof Foundation von Nutzen sein werden.
Welche Mechanismen können, Ihrer Meinung nach und angesichts Ihres unternehmerischen Hintergrunds, die Erhaltung von Frieden unterstützen?
Wenn es um Konflikttransformation und Friedensförderung geht, bin ich ein Neuling. Aber einer, voller Eifer zuzuhören und von den vielen Expert*innen der Organisation zu lernen. Erst dann würde ich sagen, sollte ich versuchen, diese Frage zu beantworten. Aber ohne Frage werden die Eckpfeiler großen Unternehmertums - Einfallsreichtum, die Bereitschaft, aktuelle Überzeugungen in Frage zu stellen, der Wunsch nach Skalierbarkeit, ein Ansatz, der von den Bedürfnissen derer geprägt ist mit denen und für die man versucht Wirkung zu erzielen, ständig ein großartiges Team auf- und auszubauen - für eine Organisation hilfreich sein, die versucht, Frieden zu fördern.
Was ist die größte Herausforderung bei der Zusammenführung des sozialen und privaten Sektors? Können Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Erfahrung nennen?
Für mich ist es eine klassische Herausforderung des interkulturellen Dialogs. Ich habe oft erlebt, dass Unterschiede so klein wie das Benutzen von Fachjargon, z.B. was Profit bedeutet, oder unterschiedliche Vorstellungen von Hierarchien oder auch kleine Details wie die richtige Kleidung, Anzug und Krawatte vs. lässigere Kleidung, dazu führen können, dass die Motive und die Professionalität jedes*r Einzelnen auf beiden Seiten in Frage gestellt werden. Mangel an Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung sind die Folge und können die Zusammenarbeit entgleisen lassen. Hier kann Moderation sicherlich helfen, Ansichten zu übersetzen und zu erweitern, eine Rolle, in der ich mich zum wiederholten Mal wiederfinde. Darüber hinaus hilft der Wechsel von einer kurz- zu einer langfristigen Perspektive, so dass sich aktuelle Hindernisse in strategische Vorteile verwandeln können.
Was stimmt Sie hoffnungsvoll für das Jahr 2020 in Bezug auf Konflikttransformation und Friedensförderung?
Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass Konflikttransformation und Friedensförderung noch bis vor wenigen Jahren in den meisten einkommensstarken Ländern des Globalen Nordens als ein Problem des Globalen Südens wahrgenommen wurde. Doch in letzter Zeit erlebt der Norden aus erster Hand eine sehr besorgniserregende Erosion des nationalen und internationalen Dialogs und der Bereitschaft, vor unserer eigenen Haustür nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen zu suchen. Wir sehen, wie mehr Konflikte ausbrechen und eskalieren, manchmal sogar bis hin zu bewaffneten Konflikten. Denken Sie nur an die Bilder, die uns von den Black Lives Matter-Protesten in den USA erreichen und dabei wird uns bewusst, wie wichtig und wie schwierig Konflikttransformation und Friedensförderung sind. Überall auf der Welt.
Das persönliche Interesse an einem Thema ist vielleicht nicht das edelste aller Motive, sich für soziale und ökologische Fragen zu interessieren. Aber es ist sicherlich ein sehr starker Antrieb für Engagement und Veränderung. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn Verständnis, Einfühlungsvermögen und Prävention über Reaktion, Egoismus und Milderung siegen würden. Und wenn dies zu mehr Unterstützung für die Arbeit der Berghof Foundation führt, werden wir alle davon profitieren.
Ich hoffe natürlich auch darauf, auf andere, direktere und positivere Weise, Unterstützung für die Berghof Foundation gewinnen zu können. Und ich hoffe, dass die aktuellen Herausforderungen im Nachhinein zu Beispielen für erfolgreiche Konflikttransformation und Friedensförderung werden. Denn Frieden muss wirklich für alle, überall und jederzeit möglich sein.
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Florian Lüdtke
Media and Communications Manager
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